Überreste einer Zwerggalaxie bestätigen Modell der Galaxienentstehung

In der Umgebung unseres Sonnensystems existiert ein Strom aus über 200 Sternen, bei dem es sich vermutlich um die Überreste einer in die Milchstraße eingedrungene Zwerggalaxie handelt. Das zeigt die Analyse von Daten des Astrometrie-Satelliten Gaia durch ein Forscherteam aus den USA und Israel. Es ist das erste Mal, dass ein solcher Sternenstrom in der Scheibe der Milchstraße aufgespürt werden konnte. Die Entdeckung bestätige das Modell der Galaxienentstehung und -entwicklung durch Zusammenstöße und Kollisionen von Sternenansammlungen, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Astronomy“.

„Im kosmologischen Standardmodell wachsen Galaxien an, indem sie kleinere Satellitengalaxien aufnehmen“, erläutern Lina Necib vom California Institute of Technology und ihre Kollegen. Dass dieser Prozess für die Entwicklung des galaktischen Halos eine wichtige Rolle spielt, ist inzwischen durch den Nachweis zahlreicher Sternströme überall am Himmel bestätigt. Doch einige der Zwerggalaxien sollten durch die Wechselwirkung mit der Milchstraße in deren Scheibenebene einfallen und auch deren Evolution beeinflussen. Hier ist jedoch der Nachweis bislang nicht gelungen, da sich die Überreste solcher kleinen Galaxien ganz ähnlich bewegen wie „einheimische“, also in der galaktischen Scheibe entstandene Sterne.

Um dieses Problem zu lösen haben Necib und ihre Kollegen zunächst ein tiefes neuronales Netz mit Daten aus kosmologischen Simulationen der Galaxienentwicklung trainiert. Nachdem das Netz erfolgreich die Sterne eingefallener Zwerggalaxien in Scheibengalaxien ähnlich unserer Milchstraße aufspüren konnte, setzten die Forscher es auf die vom Astrometrie-Satelliten Gaia gelieferten Daten an. Dieses Weltraumteleskop der Europäischen Weltraumorganisation ESA führt seit 2013 eine dreidimensionale optische Durchmusterung des ganzen Himmels durch und erfasst dabei Entfernungen und Bewegungen von über einer Milliarde Objekten.

Das neuronale Netz identifizierte zweihundert Sterne in der Sonnenumgebung, die ein Bewegungsmuster zeigen, wie es für eine eingefallene Zwerggalaxie typisch wäre. Für einige dieser Sterne liegen zusätzlich spektroskopische Daten vor. Diese deuten auf eine ähnliche chemische Zusammensetzung und liefern damit eine weitere Bestätigung für den gemeinsamen Ursprung der Sterne. Aus einem Vergleich mit den Ergebnissen der Simulationen folgern Necib und ihre Kollegen, dass der von ihnen „Nyx“ getaufte Sternstrom noch erheblich mehr Sterne umfasst, als die von dem neuronalen Netz identifizierten. Zudem lieferte die Analyse Hinweise auf einen zweiten Sternstrom mit ähnlicher chemischer Zusammensetzung, bei dem es sich um Überreste eines früheren Durchflugs der Zwerggalaxie durch die Milchstraße handeln könnte.

Spektroskopische Untersuchungen weitere Mitglieder von „Nyx“ sollen nun bestätigen, dass es nicht vielleicht doch nur um eine zufällige Ansammlung von Sternen mit ähnlichem Bewegungsmuster handelt, sondern tatsächlich um die Überreste einer ehemaligen Zwerggalaxie. Dann, so die Forscher, könne man sich mit ihrem Verfahren auf die Suche nach weiteren Überresten von Zwerggalaxien in der Scheibe unserer Milchstraße machen.

Bildquelle: ESAs