Laborexperimente zeigen: Glycin kann sich im interstellarem Medium ohne Energiezufuhr bilden

Eine wichtige Rolle für die Entstehung von Leben auf der Erde hat nach heutigen Erkenntnissen der Zustrom organischer Stoffe – also komplexer, auf dem Element Kohlenstoff basierender Moleküle – aus dem Weltall gespielt. Wie und wann aber sind die ersten organischen Moleküle im Weltall entstanden? Dieser Frage ist jetzt ein internationales Forscherthema mithilfe von Laborexperimenten nachgegangen. Der überraschende Befund: Glycin, die einfachste Aminosäure, kann sich bereits ohne äußere Energiezuvor im kalten interstellaren Gas um ein entstehendes Planetensystem bilden. Angelagert ein kleine Eiskörner könnte Glycin eine wichtige Rolle für die Bildung komplexerer Moleküle im Weltall spielen, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Astronomy“.

„Die Enträtselung der Entstehung und Verteilung komplexer organischer Moleküle im Weltall ist entscheidend für unser Verständnis der Anfangsbedingungen für die Entstehung von Leben auf der Erde“, erläutern Sergio Ioppolo von der Queen Mary University in London und seine Kollegen. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt Glycin als Ausgangsstoff für weitere chemische Reaktionen. Lange Zeit dachten die Forscher, die ersten organischen Substanzen hätten sich durch Reaktionen von Kohlenstoff mit Wasser auf kleineren Himmelskörpern gebildet und seien dann mit Meteoriten zur Erde gelangt.

Doch diese Vorstellung musste revidiert werden, als die Raumsonde Rosetta Glycin in Eispartikeln nachwies, die vom Kometen Tschurjumow-Gerassimenko ausgestoßen worden waren und offensichtlich interstellaren Ursprungs waren – sich also nicht erst während der Planetenentstehung gebildet haben konnten. Wie aber konnte im kalten interstellaren Medium bereits Glycin entstanden sein? Bisherige Überlegungen hatten stets vorausgesetzt, dass für die Entstehung von Glycin eine Energiezuvor nötig ist. Im interstellaren Raum kommen dafür ultraviolette Strahlung und hochenergetische Teilchen infrage – doch beides wirkt auf organische Stoffe zugleich zerstörerisch.

Ioppolo und seinen Kollegen gelang es jetzt, dieses Dilemma mit Laborexperimenten zu lösen. Dazu bildeten sie die Bedingungen der interstellaren Umgebung entstehender Sterne im Labor möglichst genau nach. Überraschend zeigte sich, dass sich unter diesen Bedingungen bereits ohne jede weitere Energiezuvor nicht nur Methylamin, ein Vorgängerstoff von Glycin, sondern auch die Aminosäure Glycin selbst bildet. „Dieses Ergebnis zeigt, das Glycin bereits sehr viel früher entsteht als bislang angenommen“, so die Forscher. „Damit steht Glycin zur Ausgangsstoff zur Verfügung, aus dem mit und ohne Energiezuvor über weitere chemische Reaktionen andere organische Moleküle entstehen können.“

Bildquelle: ESA/ATG medialab