Erstmals Neutrinos von seltenem Kernfusions-Prozess aufgespürt
Es ist ein Durchbruch bei der Erforschung unserer Sonne: Einem internationalen Forscherteam gelang mit dem Borexino-Experiment in Italien erstmals der Nachweis von Neutrinos, die bei einem seltenen kernphysikalischen Prozess im Zentralbereich der Sonne entstehen. Dieser Bethe-Weizsäcker-Zyklus produziere zwar lediglich ein Prozent der Energie in unserem Zentralgestirn, könne aber künftig wertvolle Informationen über den Anteil an schweren Elementen im Kern der Sonne liefern, schreiben die Borexino-Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“.
Unsere Sonne erzeugt in ihrem dichten, heißen Kern Energie durch Kernfusion. Vereinfacht ausgedrückt entsteht dabei aus vier Protonen – also den Atomkernen von Wasserstoff – ein aus zwei Protonen und zwei Neutronen bestehender Kern von Helium-4. Ein Helium-4-Kern ist jedoch leichter als vier Protonen und die Massendifferenz wird gemäß der berühmten Gleichung E = mc2 – Energie ist gleich Masse multipliziert mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit – von Albert Einstein in Strahlungsenergie umgewandelt.
Die wichtigste Rolle bei dieser Kernverschmelzung spielt die Proton-Proton-Reaktion, kurz pp-Kette genannt, bei der am Anfang jeweils die Verschmelzung von zwei Protonen zu einem Deuterium-Kern aus einem Proton und einem Neutron steht. Neben der Strahlung entstehen bei der Kernfusion auch Neutrinos, nahezu masselose Teilchen, die ungehindert aus dem Zentrum der Sonne entkommen und auch auf die Erde treffen. Im Jahr 1970 gelang erstmals ein experimenteller Nachweis der von der Sonne kommenden Neutrinos und seither konnten Forscher mit der Beobachtung dieser Neutrinos das theoretische Modell vom inneren Aufbau unserer Sonne bestätigen.
Doch die pp-Kette ist nicht die einzige Form der Kernfusion, die im Inneren der Sonne abläuft. Bereits in den Jahren 1937 bis 1939 stießen die Physiker Hans Bethe und Carl Friedrich von Weizsäcker auf eine zyklische Reaktion, bei der unter Beteiligung von Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) ebenfalls aus vier Protonen ein Helium-4-Kern entstehen kann. Etwa ein Prozent der Sonnenenergie sollte aus diesem „CNO-Zyklus“ stammen, so die theoretische Vorhersage. Doch wie sollten die Sonnenforscher in das Innere unseres Zentralgestirns blicken, um diese Vorhersage zu überprüfen?
Neutrinos bieten das einzige Fenster ins Zentrum der Sonne, und tatsächlich entstehen auch beim CNO-Zyklus Neutrinos, die sich bezüglich ihrer Energie von jenen der pp-Kette unterscheiden. Doch sie sind auch viel seltener und deshalb noch schwieriger nachzuweisen. Nach jahrelanger Verbesserung des Borexino-Detektors, der 1400 Meter unter dem italienischen Gebirgsmassiv Gran Sasso untergebracht ist, gelang es jetzt den Wissenschaftlern des Borexino-Teams, die Neutrinos des CNO-Zyklus anhand ihrer Energieverteilung aus dem Signal der Sonnenneutrinos herauszufiltern.
Das ist in doppelter Hinsicht ein Durchbruch für die Sonnenforschung: Erstens ist es der erste direkte Nachweis dafür, dass der bislang lediglich theoretisch vorhergesagte CNO-Zyklus im Inneren der Sonne tatsächlich existiert. Zweitens hängt der Ablauf des CNO-Zyklus davon ab, wie viel Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff in der Zentralregion der Sonne vorhanden sind. „Unser Ergebnis öffnet damit den Weg zu einer direkten Messung des Anteils an diesen Elementen mithilfe der Neutrinos“, schreiben die Borexino-Forscher. Und auch für die Erforschung anderer Sterne ist der Nachweis der CNO-Neutrinos von Bedeutung. Denn während der Bethe-Weizsäcker-Zyklus bei unserer Sonne für die Energieproduktion eher unbedeutend ist, spielt dieser Prozess bei Sternen mit größerer Masse die Hauptrolle. „Unsere Arbeit liefert damit den experimentellen Beweis für den primären Prozess der Umwandlung von Wasserstoff in Helium, der in Sternen stattfindet“, hebt das Borexino-Team hervor.
Bildquelle: Borexino Collaboration