Wie Johannes Kepler seine Mutter vor dem Scheiterhaufen bewahrte

Kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg, im Jahr 1615, wurde im württembergischen Städtchen Leonberg eine 73-jährige Frau der Hexerei angeklagt. Nicht irgendeine Frau, sondern die „Keplerin“: Katharina, Mutter des damals bereits hoch angesehenen Naturforschers Johannes Kepler. In jeder Kepler-Biografie findet sich – mehr oder weniger ausführlich – der Hinweis auf Keplers Verteidigung seiner Mutter. Ulinka Rublack, Professorin für europäische Geschichte der frühen Neuzeit an der University of Cambridge in Großbritannien, macht es in ihrem Buch „Der Astronom und die Hexe“ um-gekehrt: Bei ihr steht der Hexenprozess gegen Katharina im Mittelpunkt des Geschehens, die wissenschaftliche Arbeit von Johannes ist eher Randnotiz.

Als Grundlage dienen der aus Tübingen stammenden Historikerin dabei die glücklicherweise in den württembergischen Archiven erhaltenen Prozessakten, die umfangreichen persönlichen Aufzeichnungen Keplers, sowie sei-ne zahlreichen Briefwechsel. Doch Rublack schildert nicht einfach den Hexenprozess – sie bettet ihn in den historischen Kontext ein und schafft so beim Leser ein tiefes Verständnis für die gesellschaftlichen Umstände, für die sozialen, familiären und beruflichen Gegebenheiten und Zwänge, in de-nen sich Kepler und seine Mutter bewegten.

Neben dem christlichen Glauben spielte dabei Aberglaube eine gewichtige Rolle – von Astrologie, der selbst Kepler nicht abgeneigt war, bis eben zur Hexerei. Unerklärliches, vor allem auch persönliche Schicksalsschläge, fanden im Okkulten ihre Erklärungen: Vermeintliche Hexen – zumeist alte, gebrechliche, alleinstehende Frauen wie Katharina – wurden schnell für Unglücksfälle und Krankheiten verantwortlich gemacht.

Als Gelehrter hatte sich Johannes weit von der Lebenswelt seiner Mutter entfernt. Ihr Verhalten ist auch für ihn oft genug befremdlich – und so entschuldigt er ihr Verhalten auch im Prozessverlauf durchaus mit Unvernunft und Geschwätzigkeit. Gleichwohl geht er die Sachfragen des Prozesses streng wissenschaftlich an und entkräftet so die Anschuldigungen auf die gleiche Weise, wie er auch gegen wissenschaftliche Irrlehren argumentieren würde. Es gelingt Kepler, seine Mutter vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. Nach 14-monatiger Haft wird Katharina schließlich freigesprochen – doch sie überlebt die Tortur des Kerkers nur um wenige Monate.

Mit ihrem lebendigem, oft unterhaltsamem Schreibstil macht Rublack hier ein sehr spezielles Thema einem breiten Publikum zugänglich – ohne dabei der Versuchung zu erliegen, die Geschichte über die Faktenlage hinaus auszuschmücken. Am Beispiel eines von vielen Hexenprozessen gelingt es der Autorin, ein fachlich fundiertes, gleichwohl farbiges Bild der Lebenswelt in einer Zeit des Umbruchs von Magie und Religion zur rationalen Wissenschaft zu zeichnen.

Ulinka Rublack

Der Astronom und die Hexe

Klett-Cotta, Stuttgart

gebundene Ausgabe

ISBN 978-3-608-98126-1

26,-- Euro