Experten beraten in Darmstadt – Trümmerstücke gefährden immer stärker die Raumfahrt in der Umgebung der Erde

Darmstadt - Ohne Raumfahrt geht es nicht mehr: Satelliten helfen uns bei der globalen Kommunikation, versorgen uns mit Fernsehprogrammen, lenken uns durch unbekannte Städte, liefern Daten für die Wettervorhersage, überwachen Umweltschutz und Landwirtschaft. Doch all das ist bedroht, wenn die Raumfahrtnationen ein drängendes Problem nicht bald in den Griff bekommen: Im erdnahen Weltraum nimmt der Müll überhand. Auf der 6. Europäischen Konferenz über Weltraummüll beraten diese Woche in Darmstadt Experten aus aller Welt über Lösungsmöglichkeiten.

Nahezu 5000 Raketenstarts ins All gab es, seit die Sowjetunion 1957 mit Sputnik den ersten künstlichen Satelliten in eine Erdumlaufbahn schoss. Doch die Überwachungsradars der Raumfahrtbehörden registrieren im erdnahen Weltall allein 29.000 Objekte größer als zehn Zentimeter. Die Mehrzahl der künstlichen Himmelskörper sind Trümmerstücke, entstanden bei über 240 Explosionen und zehn bekannten Zusammenstößen. So prallten 2009 der zivile Kommunikationssatellit Iridium-33 und der russische Militärsatellit Kosmos-2251 aufeinander – 2200 weitere große Trümmerstücke kreisen seither um die Erde.

Für internationale Verstimmungen sorgte 2007 der Test einer Antisatellitenwaffe durch die Volksrepublik China. Der zerstörte Satellit produzierte 3300 Trümmerstücke und war damit zu dieser Zeit allein für etwa ein Viertel des Weltraummülls verantwortlich. Unterhalb einer Größe von zehn Zentimetern lässt sich die Gesamtzahl nur anhand von Stichproben schätzen. Die Europäische Raumfahrtagentur Esa rechnet mit 670.000 Bruchstücken im Bereich zwischen einem und zehn Zentimetern und 170 Millionen Partikeln im Millimeterbereich.

„Jedes dieser Objekte ist in der Lage, ein Raumfahrzeug zu beschädigen“, erläutert Heiner Klinkrad, Chef des Esa-Büros für Weltraummüll. Bei typischen Geschwindigkeiten von 25.000 Kilometern pro Stunde würde der Aufprall eines Fragments mit einer Größe von über zehn Zentimetern einen Satelliten völlig zerstören – und damit weiter zum Anwachsen der Trümmerwolke um die Erde beitragen. Wie die Internationale Weltraumstation ISS müssen auch große Satelliten deshalb immer häufiger Ausweichmanöver fliegen, um solche Katastrophen zu vermeiden.

Im Verlauf seiner elfjährigen Lebensdauer gab es für den europäischen Umweltsatelliten Envisat beispielsweise über 50 Warnungen vor Kollisionen. Viermal wurde die Situation so bedrohlich, dass Envisat mit seinen Steuerdüsen dem heranrasenden Trümmerstück ausweichen musste. Inzwischen ist Envisat selbst zur Bedrohung geworden: Am 8. April 2012 riss der Funkkontakt mit dem Satelliten ab, seither sind keine Ausweichmanöver mehr möglich. Mit besonderer Sorge beobachten die Forscher zwei Trümmerstücke, die sich Envisat regelmäßig auf rund 200 Meter nähern.

Mit großen Radarantennen und speziellen Teleskopen versuchen die Weltraumbehörden, einen Überblick über alle künstlichen Objekte in der Umgebung der Erde zu behalten. Federführend ist dabei das US Space Surveillance Network mit 17 Radaranlagen und 8 Teleskopen, die über den ganzen Globus verteilt sind. Damit lassen sich Objekte in niedrigen Umlaufbahnen erfassen, die größer als zehn Zentimeter sind. Im Bereich der besonders für die Telekommunikation wichtigen geostationären Umlaufbahnen liegt die Grenze bei einem Meter.

Mithilfe spezieller Anlagen wie dem nahe Bonn stationierten „Tracking und Imaging Radar“ TIRA lassen sich Stichproben der Objekte im Zentimeterbereich erfassen – eine ständige Verfolgung der Umlaufbahnen wie bei größeren Trümmerteilen ist aber nicht möglich. Informationen über noch kleinere Trümmerpartikel erhalten die Wissenschaftler aus der Untersuchung von Objekten, die aus der Umlaufbahn wieder zur Erde zurückgebracht werden. So fanden sich auf den 2002 nach acht Jahren im All ausgetauschten Sonnenkollektoren des Weltraumteleskops Hubble Tausende Mikro- bis Millimeter großer Einschlagkrater.

Höchste Zeit also, darin sind sich die Experten in Darmstadt einig, etwas zu unternehmen - sonst könnte in nicht allzu ferner Zukunft eine Nutzung des erdnahem Weltraums unmöglich werden. Um ein weiteres Anwachsen des Müllbergs im Orbit zu vermeiden gilt es vor allem, Explosionen zu verhindern. Dazu sollten bei ausgedienten Raumfahrzeugen Treibstoffreste abgelassen, Batterien vollständig entladen und etwa vorhandene Sprengladungen deaktiviert werden. Zudem sollten Satelliten am Ende ihrer Betriebszeit entweder gezielt zum Absturz gebracht oder in einer ungefährlichen „Friedhofsbahn“ geparkt werden.

Zusätzlich zu diesen Maßnahmen muss aber möglichst rasch ein „kosmische Müllabfuhr“ den Betrieb aufnehmen. Simulationen der Nasa und der Esa zeigen, dass allein die gezielte Beseitigung von zehn großen Objekten auf besonders gefährlichen Bahnen pro Jahr ausreicht, um eine rasante Zunahme durch Zusammenstöße zu verhindern. Ex-Astronaut Thomas Reiter, jetzt Esa-Direktor für bemannte Raumfahrt, sieht darin eine globale Aufgabe: „Die aktive Beseitigung von Weltraummüll ist eine Herausforderung, die sich nur durch die Zusammenarbeit aller Raumfahrtbehörden unter Beteiligung der Industrie lösen lässt.“

Bildquelle: Nasa