Überraschung für die Astronomen: Objekt entstand vermutlich ohne Supernova-Explosion

Einem internationalen Team von Astronomen ist es gelungen, ein stellares Schwarzes Loch in der Großen Magellanschen Wolke, einer Nachbargalaxie der Milchstraße, nachzuweisen. Das Besondere daran: Das Schwarze Loch ist „ruhig“, es verrät sich also nicht durch Strahlung, sondern nur durch seine Anziehungskraft. Es ist der erste Nachweis eines solchen ruhigen Schwarzen Lochs außerhalb der Milchstraße. Zudem sei dieses Schwarze Loch offenbar durch einen „direkten Kollaps“, also ohne eine begleitende Supernova-Explosion entstanden, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Astronomy“.

„Stellare Schwarze Löcher sind die Überreste von großen Sternen mit ursprünglich mehr als der 15-fachen Masse unserer Sonne“, erläutert Teamleiter Tomer Shenar von der Universität Löwen in Belgien. Wenn ein solcher Stern seinen nuklearen Energievorrat aufgebraucht hat, kollabiert er unter seiner eigenen Anziehungskraft zu einem Schwarzen Loch. Zumeist geht diese Katastrophe mit einer Supernova-Explosion einher, bei der ein Teil der Sternmaterie ins All hinaus geschleudert wird.

Astronomen vermuten, dass es in der Milchstraße und den umliegenden Nachbargalaxien – der „lokalen Gruppe“ – Milliarden solcher stellaren Schwarzen Löcher gibt. Tatsächlich bekannt sind jedoch nur einige wenige – nämlich solche, die mit einem weiteren Stern ein Doppelsystem bilden. Oft saugen die Schwarzen Löcher mit ihrer starken Anziehungskraft dann Materie von ihrem Partnerstern ab. Bevor dieses Gas in das Schwarze Loch stürzt, heizt es sich auf und sendet dann Strahlung im hochenergetischen Röntgenbereich aus – und verrät damit die Anwesenheit des Schwarzen Lochs.

Tatsächlich sollte es aber auch viele ruhige Schwarze Löcher geben, auf die keine Materie einströmt. Shenar und seine Kollegen haben für die Suche nach solchen ruhigen Schwarzen Löchern knapp Tausend massereiche Sterne in der Region des Tarantelnebels in der Großen Magellanschen Wolke mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile ins Visier genommen. Und das Team wurde schließlich fündig: Bei dem heißen blauen Stern VFTS 243 stießen sie auf eine verräterische periodische Bewegung. Der Stern, der selbst die 24-fache Masse der Sonne enthält, bildet offenbar mit einem weiteren Objekt mit mindestens neun Sonnenmassen ein enges Doppelsystem. Alle 10,4 Tage umkreisen sich die beiden Objekte gegenseitig.

Und dabei bleibt das zweite Objekt selbst völlig unsichtbar. Die Forscher suchten im Licht von VFTS 243 nach der Strahlung eines weiteren Sterns – ohne Erfolg. „Aus der Masse des unsichtbaren Objekts folgt damit, dass es sich um ein Schwarzes Loch handeln muss“, konstatieren Shenar und seine Kollegen. Und dieses Schwarzes Loch ist zudem ruhig, es sendet auch keine Röntgenstrahlung aus. Damit ist es dem Team erstmals gelungen, ein solches Schwarzes Loch außerhalb der Milchstraße aufzuspüren – ein wichtiger Schritt für die Einschätzung, wie viele derartiger Objekte es gibt.

Doch der dunkle Begleiter von VFTS 243 hatte für die Astronomen noch eine weitere Überraschung parat: Die Umlaufbahnen des Doppelsystems sind offenbar nahezu kreisförmig. Wenn jedoch bei der Entstehung eines stellaren Schwarzen Lochs der kollabierende Stern seine äußere Hülle ins All abstößt, dann geschieht das nicht symmetrisch. Dadurch erhält das Schwarze Loch einen kräftigen Stoß – und gelangt so auf eine stark elliptische Umlaufbahn. In extremen Fällen kann das Schwarze Loch sogar aus dem Doppelsystem heraus katapultiert werden.

Die überraschend kreisförmige Umlaufbahn deute daher darauf hin, so die Forscher, dass das Schwarze Loch von VFTS 243 ohne Supernova-Explosion entstanden sei. „In letzter Zeit gibt immer wieder Hinweise auf ein solches Szenario des direkten Kollapses“, erläutert Shenar. „Aber unsere Studie liefert wohl einen der bislang direktesten Hinweise dafür.“ Das habe entscheidende Konsequenzen auf die Untersuchung der Verschmelzung von Schwarzen Löchern – und damit auf die Interpretation von Gravitationswellen, die mit großen Detektoranlagen von solchen Ereignissen empfangen werden.

Bildquelle: ESO/L. Calçada