LIGO und Virgo registrieren Zusammenstoß ungewöhnlich großer Schwarzer Löcher

Die großen Detektoranlagen LIGO in den USA und Virgo in Italien haben am 21. Mai 2019 Gravitationswellen registriert, die in doppelter Hinsicht neue Rekorde aufstellen: Ursache der Schwingungen der Raumzeit ist der Zusammenstoß und die anschließende Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern in der Rekordentfernung von sieben Milliarden Lichtjahren. Mehr noch: Mit 142 Sonnenmassen ist das bei der kosmischen Katastrophe entstandene Schwarze Loch das bislang massereichste, dessen Entstehung Astrophysiker mit den Gravitationswellen-Detektoren beobachten konnten. Die beiden ursprünglichen Schwarzen Löcher besaßen die 66-fache und die 85-fache Masse der Sonne – und das stellt die Forscher vor ein Rätsel. Denn Schwarze Löcher mit einer Masse von 85 Sonnenmassen sollte es als Ergebnis normaler Sternentwicklung nicht geben, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Physical Review Letters“.

„Nach unserem Verständnis davon, wie Sterne altern und sich entwickeln, erwarten wir Schwarze Löcher mit entweder weniger als 65 Sonnenmassen oder mit mehr als 120 Sonnenmassen, aber keine dazwischen“, erklärt Frank Ohme, Leiter einer an den Beobachtungen beteiligten Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. Das Schwarze Loch mit 85 Sonnenmassen falle genau in die Lücke dazwischen. Das könne zwei Dinge bedeuten, so der Forscher: „Entweder unser Verständnis der Sternentwicklung ist unvollständig oder hier hat sich etwas anderes ereignet.“

Die an den LIGO- und Virgo-Beobachtungen beteiligten Wissenschaftler haben daher in monatelanger penibler Arbeit nach Alternativen Szenarios für die Entstehung des Signals vom 21. Mai 2019 gesucht – von kosmischen Strings über ungewöhnliche Formen von Supernovae bis zu Gravitationslinsen. Als wahrscheinlichste Lösung präsentieren die Forscher jetzt die Möglichkeit, dass das schwerere der beiden Schwarzen Löcher selbst bereits das Ergebnis einer Verschmelzung zweier kleinerer Schwarzer Löcher ist.

Das entstandene Schwarze Loch stellt mit seiner Masse von 142 Sonnenmassen noch in weiterer Hinsicht ein Novum da: Es ist das erste Mal, dass Astronomen Zeugen der Entstehung eines „mittelschweren“ Schwarzen Lochs geworden sind. Solche Schwarzen Löcher im Bereich zwischen stellaren – also aus Sternen entstandenen – Schwarzen Löchern und den supermassereichen Schwarzen Löchern in den Kernen von Galaxien könnten eine wichtige Rolle bei der Galaxienentwicklung spielen. Doch bislang ist unklar, wie viele es davon gibt und wie sie entstehen. „Wir wissen noch nicht, ob diese erste Beobachtung eines mittelschweren Schwarzen Lochs den Vertreter einer völlig neuen Klasse von Doppelsystemen Schwarzer Löcher darstellt oder nur das massereiche Ende des Spektrums, das wir bisher gesehen haben“, sagt Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik.

Die Entdeckung des ungewöhnlichen Ereignisses fiel in den dritten gemeinsamen Beobachtungslauf der kilometergroßen Detektoranlagen LIGO und Virgo, der am 1. April 2019 begann und am 27. März dieses Jahres endete. Insgesamt haben die Forscher dabei 56 Gravitationswellen-Ereignisse registriert. GW 199521, das Ereignis vom 21. Mai 2019, ist das vierte, das die Wissenschaftler mit detaillierten astrophysikalischen Folgeanalysen bestätigen und veröffentlichen konnten. „Bald, wenn wir alle Verschmelzungen Schwarzer Löcher analysiert haben, die LIGO und Virgo in ihrem dritten Beobachtungslauf beobachtet haben, wissen wir hoffentlich mehr,“ so Danzmann.

Bildquelle: N. Fischer, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration