Zufallsentdeckung liefert überraschenden Einblick in die Galaxienentwicklung

Wie endet die Entstehung neuer Sterne in großen, massereichen Galaxien? Auf diese Frage hat ein internationales Team von Astronomen jetzt durch Zufall eine überraschende Antwort gefunden: Zusammenstöße von Galaxien lösen demnach gewaltige Gasströmungen aus, die den Galaxien das Material für die Sternentstehung rauben. Wie die Forscher im Fachblatt „Nature Astronomy“ berichten, haben sie erstmals einen solchen gigantischen Gasausstoß in einer weit entfernten Galaxie beobachtet.

Die Entstehung neuer Sterne in großen Galaxien endet oft abrupt, wie viele Beobachtungen zeigen. „Welche physikalischen Prozesse für dieses plötzliche Ende der Sternentstehung verantwortlich sind, ist bislang unklar“, erläutern Annagrazia Puglisi von der Durham University in Großbritannien und ihre Kollegen. Die meisten Astronomen favorisieren als Erklärung Gasströmungen – Winde genannt –, die durch die Strahlung neu entstehender Sterne und durch supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren der Galaxien angetrieben werden.

Diese Winde, so die Überlegung, entreißen den Galaxien das Gas, aus dem neue Sterne entstehen könnten. Doch sowohl Beobachtungen als auch Computersimulationen zeigen, dass Sternentstehung und Winde über Jahrmilliarden koexistieren können. So blieb bislang unklar, warum die Sternentstehung schließlich abrupt zum Erliegen kommt.

„Es ist deshalb wichtig, die disruptiven Ereignisse direkt zu beobachten, die zum Ende der Sternentstehung führen“, betonen die Forscher – doch solche Beobachtungen lägen bislang nicht vor. Doch Puglisi und ihre Kollegen stießen jetzt durch Zufall auf ein solches Ereignis. Im Rahmen der Beobachtung von kaltem Gas in hundert weit entfernten Galaxien mit ALMA, dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array auf dem 5000 Meter hohen Chajnantor-Plateau in der Atacamawüste in den nordchilenischen Anden, stießen sie auf eine Galaxie mit einer höchst ungewöhnlichen Gasströmung.

Diese Galaxie mit der Bezeichnung ID2299 ist so weit entfernt, dass ihr Licht etwa neun Milliarden Jahre zur Erde benötigt. Die ALMA-Messungen zeigen, dass ID2299 pro Jahr Gas ausstößt, das der Masse von 10.000 Sonnen entspricht. Insgesamt verliere ID2299 durch diesen gigantischen Gasstrom 46 Prozent ihrer Menge an kaltem Gas, so die Forscher. Zwar entstehen immer noch sehr viele neue Sterne in der fernen Galaxie, doch dieser Prozess dürfte nach Ansicht von Puglisi und ihren Kollegen durch den Verlust an Gas in weniger als hundert Millionen Jahren zum Erliegen kommen.

Wie weitere Analysen der ALMA-Beobachtungen zeigen, ist der gigantische Gasausstoß die Folge einer Kollision von zwei Galaxien, aus deren Verschmelzung ID2299 hervorgegangen ist. Aus statistischen Überlegungen zieht das Team den Schluss, dass Galaxienkollisionen und die dadurch ausgelösten Gasströme eine Hauptursache für das plötzliche Erlöschen der Sternentstehung in großen Galaxien sind – und nicht, wie bislang angenommen, die von Sternen und Schwarzen Löchern angetriebenen Winde.

Bildquelle: ESO/M. Kornmesser