Erdtrabant als Detektor für extrem energiereiche Partikel aus dem Weltall

Die Idee mutet bizarr an: Astronomen wollen den Mond als Detektor für extrem energiereiche Teilchen der kosmischen Strahlung nutzen. Die Partikel – hauptsächlich Protonen - stellen die Forscher bislang vor ein Rätsel: Wo kommen sie her, wie entstehen sie? Der Erdtrabant könnte – in Kombination mit einer gigantischen Radioteleskop-Anlage auf der Erde – dabei helfen, diese Fragen zu beantworten. Pro Jahrhundert trifft nur ein einziges derartiges Teilchen auf einen Quadratkilometer der Erdoberfläche. Um der Herkunft der mysteriösen Partikel auf die Spur zu kommen, müssen die Forscher aber eine große Zahl von ihnen untersuchen – und deshalb benötigen sie einen möglichst großen Empfänger.

Die Idee, den Mond als einen solchen Detektor zu verwenden, ist nicht neu: Schon 1962 schlug der russisch-armenische Physiker Gurgen Askaryan vor, mit Antennen auf dem Mond nach besonders energiereichen Teilchen der kosmischen Strahlung zu fahnden. Der Forscher war bei seiner theoretischen Arbeit auf ein neues Phänomen gestoßen: Dringt ein Teilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in dichtes Material ein – zum Beispiel in Eis oder in Gestein -, so löst es eine ganze Lawine elektrisch geladener Teilchen aus, die wiederum in Bewegungsrichtung einen gebündelten Puls von Radiostrahlung aussendet. Doch der Bau solcher Antennenanlagen war zur damaligen Zeit völlig illusorisch, und so geriet die Idee wieder in Vergessenheit. Erst ein Vierteljahrhundert später, Ende der 1980er Jahre, tauchte sie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen wieder auf: Die Astronomen erkannten, dass sich die Pulse auch mit Radioteleskopen auf der Erde nachweisen lassen sollten. Viele Radio-Observatorien haben seither versucht, die Askaryan-Strahlung vom Mond nachzuweisen – bislang ohne Erfolg.

„Das Effelsberg-Radioteleskop ist empfindlich genug für einen solchen Nachweis“, sagt Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, „das Problem liegt in der Rate.“ Selbst unter optimistischen Annahmen wäre höchstens ein Radiopuls pro Monat zu erwarten. Entsprechend lang müsste die Messzeit an einem Radioteleskop sein – doch das, so Kramer, sei aussichtslos, da die Instrumente auch für andere Forschungsprojekte benötigt werden.

Schon in wenigen Jahren könnte sich die Situation allerdings grundlegend ändern. Denn 2018 beginnt der Bau des „Square Kilometer Array“ SKA, einer Anlage aus mehreren tausend Radioantennen in Afrika und Australien mit einer Gesamt-Sammelfläche von – daher der Name - einem Quadratkilometer. Auf einer Fachtagung über das Teleskopvorhaben, an dem sich zehn Nationen beteiligen, präsentierte der britische Astrophysiker Justin Bray unlängst ein internationales Projekt zum Nachweis der lunaren Askaryan-Strahlung mit dem SKA. „Schon in der ersten, 2020 beginnenden Betriebsphase hoffen wir auf eintausend Stunden Beobachtungszeit“, erläutert Bray. „Wenn wir in dieser Zeit nur ein einziges Teilchen nachweisen, ist das der Beweis, dass die Methode funktioniert.“

Der Forscher hofft sogar auf einen größeren Erfolg: den Nachweis mehrerer extrem energiereicher Partikel in Folge, die aus der gleichen Richtung kommen. Das nämlich könnte den Astronomen einen ersten Hinweis darauf geben, woher die rätselhaften Teilchen kommen. Insgesamt treffen in jeder Sekunde etwa tausend kosmische Partikel auf jeden Quadratmeter der Erdatmosphäre. Sie stammen von der Sonne, von explodierenden Sternen, Neutronensternen. Die Teilchen mit den höchsten Energien kommen vermutlich aus der Umgebung supermassiver Schwarzer Löcher in fernen Galaxien.

Doch diese Erklärung stößt oberhalb einer Energie von 8 Joule an eine Grenze: Die kosmische Hintergrundstrahlung – das Echo des Urknalls – bremst Teilchen mit höherer Energie über eine Strecke von „nur“ 160 Millionen Lichtjahren ab. Als die US-amerikanischen Forscher John Linsley und Livio Scarsi 1962 das erste kosmische Teilchen mit einer Energie von 16 Joule nachwiesen, standen die Astronomen also vor einem Dilemma: In unserer Milchstraße gibt es keine bekanntes Objekt, das solche Energien erzeugen könnte – aber aus der Tiefe des extragalaktischen Weltraums können solche Partikel nicht zu uns gelangen.

Mit ihren irdischen Detektoren registrieren die Wissenschaftler inzwischen pro Jahr rund 15 kosmische Teilchen, die das theoretische Limit überschreiten. Energien bis zu 50 Joule haben die Forscher gemessen – das entspricht der Energie eines kräftig aufgeschlagenen Tennisballs mit einer Geschwindigkeit von 150 Kilometern pro Stunde, konzentriert in einem einzigen Proton. Wenn das SKA 2027 vollkommen fertig gestellt ist, könnte es mithilfe des Mondes die zehnfache Menge an extrem energiereichen Teilchen registrieren, schätzt Bray: „Damit haben wir eine hervorragende Chance, ihrem Ursprung auf die Spur zu kommen.“

Natürlich stehen Bray und seine Kollegen auch beim SKA in Konkurrenz zu anderen Forschungsgruppen. Doch Kramer sieht gute Aussichten, die Idee zu verwirklichen: „Der Vorteil beim SKA wäre, dass man problemlos mit einem Teil der Anlage den Mond beobachten könnte, während der Rest des Arrays andere Astronomen bedient.“ Auf der Fachtagung fand Brays Vorschlag denn auch positive Resonanz. Die Identifizierung der Quellen der kosmischen Teilchen könnte den Astronomen neue Erkenntnisse über die energiereichsten Prozesse im Kosmos liefern – oder gar zur Entdeckung bislang unbekannter Phänomene führen.

Bildquelle: SKA