Forscher beobachten erstmals Bewegung von Antiwasserstoff-Atomen im Schwerefeld der Erde

Auch Antimaterie wird von der Erde angezogen. Das zeigen Experimente eines internationalen Teams am europäischen Teilchenforschungszentrum Cern in der Nähe von Genf. Die Wissenschaftler haben Antiwasserstoff-Atome produziert und deren Bewegung im Schwerefeld der Erde beobachtet. Genau wie die Atome von gewöhnlichem Wasserstoff bewegten sich die meisten Antiwasserstoff-Atome durch die Erdanziehung nach unten. Eine von manchen Physikern vorgeschlagene abstoßende Wirkung von Antimaterie könne daher ausgeschlossen werden, so die Cern-Forscher im Fachblatt „Nature“.

Was ist Antimaterie? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst einen Blick auf den Aufbau der Materie werfen. Jeder Stoff – ob fest, flüssig oder gasförmig – besteht aus Atomen. Diese wiederum enthalten einen schweren Atomkern, umgeben von einer Wolke elektrisch negativ geladener Elektronen. Der Atomkern wiederum enthält Neutronen und Protonen – letztere sind elektrisch positiv geladen und sorgen dafür, dass Atome insgesamt elektrisch neutral sind. Das einfachste Element ist Wasserstoff, hier kreist ein einzelnes Elektron um ein einziges Proton.

Doch zu jedem Teilchen, aus dem die Materie aufgebaut ist, gibt es ein Gegenstück, ein „Antiteilchen“, das dem Teilchen völlig gleicht – bis auf seine elektrischen und magnetischen Eigenschaften, die entgegengesetzt sind. Das 1932 erstmals nachgewiesene Positron entspricht einem Elektron mit positiver Ladung, das 1955 entdeckte Antiproton einem Proton mit negativer Ladung. Es ist also naheliegend, dass sich aus diesen Antiteilchen auch „Anti-Atome“ formen können wie Atome aus gewöhnlichen Teilchen. Ein Positron, dass um ein Antiproton kreist, ist also ein Antiwasserstoff-Atom.

Beim Urknall sollten, so die Theorie, Teilchen und Antiteilchen in gleichen Mengen entstanden sein. Dann jedoch gäbe es im heutigen Universum nur noch Energie und keine Materie. Denn wenn Materie auf Antimaterie trifft, kommt es zu einer katastrophalen Reaktion: Teilchen und Antiteilchen vernichten sich gegenseitig, wobei eine große Menge an Energie frei wird. Deshalb auch spielt Antimaterie in der Science Fiction oft eine Rolle als Treibstoff für Raumschiffe oder als Waffe.

Warum also gibt es überhaupt Materie im Kosmos – und wo ist die Antimaterie? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, erzeugen Physiker beispielsweise am Cern künstlich Antiwasserstoff, um dessen Eigenschaften genau zu untersuchen. Bislang haben die Forscher jedoch keinen Unterschied zwischen Wasserstoff und Antiwasserstoff finden können. In dem aktuellen Experiment gingen die Physiker jetzt der Frage nach, ob Antimaterie ebenso von der Schwerkraft der Erde angezogen wird wie normaler Wasserstoff.

„Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt voraus, dass dies der Fall sein sollte“, erläutert Team-Mitglied Jonathan Wurtele von der University of California. „Es gab zwar schon indirekte Hinweise, dass Gravitation auf Antimaterie genauso wirkt wie auf Materie. Doch bislang gab es keine direkte Beobachtung, wie Antiwasserstoff-Atome im Schwerefeld der Erde fallen.“ Genau das ist Wurtele und seinen Kollegen der ALPHA-Kollaboration am Cern nun gelungen.

Mithilfe eines Teilchenbeschleunigers produzierte das Team Antiprotonen. Der radioaktive Zerfall von künstlich erzeugten Natrium-Atomen lieferte den Forschern Positronen. In einer magnetischen Falle erzeugten die Wissenschaftler daraus schließlich Antiwasserstoff. Durch gezielte Änderungen des Magnetfelds setzten die Physiker die Antiatome dann kontrolliert der irdischen Schwerkraft aus. Etwa 80 Prozent der Antiatome, so das Ergebnis, verließen daraufhin die magnetische Falle am unteren Ende, fielen also durch die Schwerkraft nach unten. Das entspricht exakt dem erwarteten Wert, wenn die Anziehungskraft auf Antimaterie genauso wirkt wie auf Materie.

Eine abstoßende Wirkung der Gravitation auf Antimaterie konnte das Team so ausschließen. Gleichwohl sehen die Forscher ihr Experiment nur als ersten Schritt. Technisch sei man nun in der Lage, Antiwasserstoff genau genug zu kontrollieren, um den Einfluss der Schwerkraft zu untersuchen, sagt ALPHA-Sprecher Jeffrey Hangst. „Jetzt wollen wir möglichst genau messen, wie stark die Schwerkraft die Antiatome beschleunigt.“ Vielleicht findet sich dort doch noch eine Abweichung zur normalen Materie – und damit eine Erklärung für das Fehlen von Antimaterie im Kosmos.

Bildquelle: CERN