Mit dem rätselhaften Phänomen halten Himmelsforscher nach fehlender Materie Ausschau
Der Ausbruch dauerte gerade einmal etwas über eine tausendstel Sekunde – und setzte doch so viel Energie frei, wie unsere Sonne im Verlauf von 30 Jahren: Im Juni vergangenen Jahres registrierte die Teleskopanlage ASKAP in Australien einen sogenannten „kurzen Radioblitz“, einen extrem kurzzeitige, heftigen Ausbruch von Radiostrahlung im fernen Kosmos. Solche Radioblitze beobachten Astronomen häufig – doch dieser ist etwas Besonderes: Seine Radiostrahlung brauchte acht Milliarden Jahre, um die Erde zu erreichen. Damit stellt der Radioblitz einen neuen Entfernungsrekord auf, wie das internationale Entdeckerteam im Fachblatt „Science“ berichtet.
ASKAP besteht aus 36 identischen, jeweils zwölf Meter großen Parabolantennen. „Mit diesem Antennenfeld konnten wir genau bestimmen, woher am Himmel der Ausbruch kam“, erläutert Stuart Ryder von der Macquarie University in Australien. Und das war wichtig – denn nur so konnten die Astronomen sich mit anderen Teleskopen auf die Suche nach dem Ursprungsort des Radioblitzes machen.
Mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile machten sich die Himmelsforscher auf die Suche – und stießen am Ort des Ausbruchs auf eine weit entfernte Galaxie. „Sie ist erheblich weiter entfernt als jede andere bisher gefundene Radioblitz-Quelle“, so Ryder, „und vermutlich gehört zu einer Gruppe von Galaxien, die miteinander verschmelzen.“
Seit ihrer Entdeckung im Jahr 2006 bereiten die Radioblitze den Astronomen Kopfzerbrechen: Was ist die Ursache dieser gewaltigen Strahlungsausbrüche, die nur Sekundenbruchteile andauern? Eine Vielzahl von Theorien wurden aufgestellt, die überwiegend mit Neutronensternen zu tun haben. Das sind Überreste ausgebrannter Sterne, in denen die Materie so dicht gepackt ist, wie sonst nur in den Kernen von Atomen. Vielleicht verursachen Zusammenstöße von Neutronensternen die Radioblitze. Eine andere mögliche Erklärung wäre der Kollaps eines Neutronensterns zu einem Schwarzen Loch. Doch der mit ASKAP registrierte Blitz übertrifft mit seiner Energie theoretische Vorhersagen um das Dreieinhalbfache.
Aber auch wenn die Astronomen bislang keine Erklärung für das mysteriöse Phänomen haben, können sie es doch nutzen. Denn die Strahlung der Blitze durchquert auf dem Weg zur Erde den Weltraum zwischen den Galaxien und wird durch das dort vorhandene, dünn verteilte Gas beeinflusst. „Dispersion“ nennen die Forscher den Effekt, der den Blitz in Abhängigkeit von seiner Wellenlänge auseinanderzieht. „Je weiter ein schneller Radioblitz von uns entfernt ist, desto mehr Gas zwischen den Galaxien kann er also nachweisen“, sagt Ryder.
Und damit hoffen die Forscher, fehlender Materie im Kosmos auf die Spur zu kommen. „Wenn wir die Menge an normaler Materie im Universum zählen – den Atomen, aus denen wir alle bestehen – stellen wir fest, dass mehr als die Hälfte von dem, was heute vorhanden sein sollte, fehlt“, erläutert Ryan Shannon, von der Swinburne University of Technology in Australien. „Wir vermuten, dass sich die fehlende Materie im Raum zwischen den Galaxien verbirgt, aber sie ist vielleicht so heiß und diffus, dass sie mit üblichen Techniken nicht sichtbar ist.“ Doch die Radioblitze, so der Astrophysiker weiter, werden von dieser Materie beeinflusst und machen sie so sichtbar.
Der Radioblitz vom Juni 2022 betätigt diese Annahme – seine Dispersion ist größer als bei allen bisher beobachteten Radioblitzen. Sogar größer als nach den bisherigen Daten von näheren Radioausbrüchen zu erwarten. Möglicherweise habe die Radiostrahlung eine ungewöhnliche Zone turbulenten und magnetisierten Gases durchquert, spekulieren die Wissenschaftler. Um tatsächlich zu messen, wie viel Gas bislang zwischen den Galaxien übersehen worden ist, müssen die Astronomen möglichst viele und möglichst noch weiter entfernte Radioblitze beobachten. Das sollte schon in wenigen Jahren mit dem Square Kilometer Array, einer neuen Radioteleskop Anlage in Australien und Südafrika, sowie dem in Chile im Bau befindlichen Extremely Large Telescope mit seinem 39 Meter großen Spiegel möglich sein.
Bildquelle: ESO