Überraschende Entdeckung bringt gegenwärtiges Modell der Galaxienentwicklung in Schwierigkeiten
Bereits 1,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall zeigt die Galaxie ALESS 073.1 alle Anzeichen eines reifen Sternsystems: eine geordnet rotierende Scheibe, eine zentrale Aufwölbung – von den Astronomen „Bulge“ genannt – und möglicherweise sogar Spiralarme. Das zeigen Beobachtungen eines internationalen Forscherteams mit der Teleskopanlage ALMA in Chile. Bislang gingen Astronomen davon aus, dass Galaxien derartige Strukturen erst im Verlauf von vielen Jahrmilliarden entwickeln. Es müsse also bislang unbekannte, effiziente Prozesse geben, die zur Bildung von Scheiben und Bulges führen, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.
Große Galaxien wie unsere Milchstraße bestehen zumeist aus einer flachen rotierenden Scheibe aus jüngeren Sternen, sowie einer zentralen Aufwölbung aus älteren Sternen. Im gegenwärtigen Szenario der Galaxienentwicklung entstehen diese Strukturen durch dynamische Prozesse in den Sternsystemen, sowie durch den Zusammenstoß und die Verschmelzung mit vielen kleineren Galaxien. Doch diese Prozesse benötigen viel Zeit – daher sollten Galaxien im jungen Kosmos noch keine derartigen Strukturen aufweisen.
„Doch wir haben eine massereiche Bulge, eine geordnet rotierende Scheibe und möglicherweise sogar Spiralarme in einer Galaxien entdeckt – zu einer Zeit, als das Universum gerade einmal zehn Prozent seines heutigen Alters hatte“, erläutert Federico Lelli von der Cardiff University in Großbritannien. Lelli und seine Kollegen haben ALESS 073.1 mit ALMA beobachtet, dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array in der Atacamawüste in den nordchilenischen Anden. Es besteht aus 66 Antennen mit sieben bis zwölf Metern Durchmesser und ist insbesondere zur Untersuchung der Entstehung von Sternen und Galaxien geeignet.
ALESS 073.1 ist so weit von uns entfernt, dass ihre Strahlung 12,6 Milliarden Jahre zur Erde benötigt. Die Astronomen sehen die Galaxie also so, wie sie vor 12,6 Milliarden Jahren – 1,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall – ausgesehen hat. Die Forscher hatten deshalb erwartet, dass sich Gas und Sterne in dieser Galaxie noch ungeordnet und chaotisch bewegen. Stattdessen zeigen die ALMA-Daten eine geordnet rotierende Scheibe, sowie eine ausgedehnte Massenkonzentration in der Mitte des Sternsystems – offenbar eine Bulge. „Die Entdeckung ist spektakulär und eine Herausforderung für unser Verständnis der Entstehung von Galaxien“, sagt Team-Mitglied Timothy Davis, der ebenfalls an der Cardiff Universität tätig ist. „Wir haben solche Strukturen nur in reifen, aber nicht in einer so jungen Galaxie erwartet.“
Bildquelle: Cardiff University