Forscher stoßen auf bislang übersehenen Prozess
Die Venus ist nahezu ein Zwilling der Erde: Sie besitzt etwa die gleiche Masse und den gleichen Durchmesser. Gleichwohl ist sie im Gegensatz zu unserem Heimatplaneten knochentrocken. Die Hauptursache dafür ist, dass der Planet sich näher an der Sonne befindet und das ursprünglich vorhandene Wasser daher ins All verdampft ist. Wie ein Forschungsteam aus den USA jetzt zeigt, wurde bei bisherigen Modellierungen jedoch ein wichtiger Prozess übersehen, der erheblich zum Wasserverlust der Venus beiträgt. Das löse einerseits Probleme der bisherigen Modelle, erfordere andererseits aber auch, dass die Atmosphäre der Venus heute erheblich mehr neues Wasser erhält als bislang angenommen, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“.
Ursprünglich besaß die Venus vermutlich etwa genauso viel Wasser wie die Erde – was global etwa einem Ozean mit drei Kilometern Tiefe entsprechen würde. Die Erde zieht 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ihre Bahn und hat dort eine Oberflächentemperatur, die flüssiges Wasser ermöglicht. Im Gegensatz dazu ist die Venus lediglich 108 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt und erhält so viel Sonnenstrahlung, dass ihr gesamtes Wasser verdampft ist. Der Überwiegende Teil konnte so ins Weltall entweichen.
Aus dem Inneren der Venus gelangt zwar durch Vulkanismus neues Wasser in die Atmosphäre, ebenso durch den Zustrom von Asteroiden und Kometen. Doch eine Reihe chemischer Prozesse, die Wassermoleküle aufspalten können, halten den geringen Wassergehalt der Venus-Atmosphäre im Gleichgewicht. Wie Michael Chaffin von der University of Colorado in Boulder und seine Kollegen zeigen, wurde bei den bisherigen Modellierungen dieses Gleichgewichts jedoch ein wichtiger Prozess übersehen, nämlich die „dissoziative Rekombination“.
Bei diesem Vorgang trifft ein Formylkation HCO+, also ein elektrisch positiv geladenes Ion aus je einem Wasserstoff-, einem Kohlenstoff- und einem Sauerstoff-Atom, auf ein freies Elektron. Dadurch zerfällt das Ion in eine Kohlenmonoxid-Atom und ein Wasserstoff-Atom – und letzteres kann ins All entweichen, da es das leichteste chemische Element ist. „Dieser Prozess führt nahezu zu einer Verdopplung des Wasserverlusts der Venus-Atmosphäre“, stellen Chaffin und seine Kollegen fest.
Das löst zwei Probleme der bisherigen Modelle. Zum einen dauert ohne die dissoziative Rekombination der Verlust der ursprünglichen Wassermenge der Venus so lange, dass „die Zeit kaum ausreicht, um seit der Entstehung der Venus bis heute ein Gleichgewicht zu erreichen“, so die Forscher. Berücksichtigt man jedoch diesen Effekt, so könnte sich das Gleichgewicht bereits vor etwa zwei Milliarden Jahren eingestellt haben.
Das zweite Problem ist, dass die Venus-Atmosphäre etwa 120-mal stärker mit Deuterium angereichert ist als die irdische Atmosphäre. Deuterium ist schwerer Wasserstoff, der in seinem Atomkern zusätzlich zum Proton ein Neutron enthält. Aufgrund seines höheren Gewichts entweicht weniger Deuterium ins All als normaler Wasserstoff – und durch die dissoziative Rekombination wird dieser Unterschied weiter verstärkt.
Wenn nun jedoch durch die dissoziative Rekombination heute etwa doppelt so viel Wasser verloren geht wie bislang angenommen, muss – um das Gleichgewicht zu erhalten – auch doppelt so viel Wasser der Atmosphäre neu zugeführt werden. Darin sehen die Forscher jedoch kein Problem, da weder die Ausgasung durch Vulkanismus noch der Zustrom von Asteroiden und Kometen genau bekannt sind. Chaffin und seine Kollegen drängen nun darauf, bei künftigen Venus-Raumsonden Detektoren für den Nachweis von Formylkationen mit an Bord zu nehmen, um ihr Modell vor Ort überprüfen zu können.
Bildquelle: Aurore Simonnet / Laboratory for Atmospheric and Space Physics / University of Colorado at Boulder